Michael Happe: Johann Friedrich Mayer – ein Pfarrer des 18. Jahrhunderts als Landwirtschaftsreformer

Festrede anlässlich der 1. Jahreshauptversammlung des Vereins

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Begrüßung der Mitglieder und Gäste zur Jahreshauptversammlung im Theresiensaal der Akademie für Landbau in Kupferzell durch Pfarrer Klaus Anthes

Vortrag anlässlich der Jahreshauptversammlung der Pfarrer-Mayer-Gesellschaft, am 27. Februar 2016,

Michael Happe, Wackershofen

Johann Friedrich Mayer  – ein Pfarrer des 18. Jahrhunderts als Landwirtschaftsreformer
 An mich ist der Wunsch herangetragen worden, anlässlich der ersten Jahreshauptversammlung der Pfarrer- Mayer-Gesellschaft, einen Blick auf den Pfarrer Johann Friedrich Mayer in dessen Eigenschaft als Landwirtschaftsreformer zu werfen, was ich gerne tun möchte. Ich danke sehr herzlich für die Einladung und die Ehre, über ein Thema referieren zu dürfen, von dem sicher viele der Mitglieder der Gesellschaft mehr verstehen als ich. Dass ich es trotzdem tue, geht auf den Wunsch des Vorsitzenden der Pfarrer-Mayer- Gesellschaft, Herrn Werner zurück, den ich, trotz einiger Bedenken, nicht abschlagen wollte.
Seit gut drei Jahren bin ich als Museumsleiter im Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen tätig, angesichts des vielfältigen Aufgabengebietes eine kurze Zeit, die nicht ausreicht, die Region und deren Geschichte wirklich kennen zu lernen. Pfarrer Mayer ist mir allerdings schon früher begegnet.
In den 1980er Jahren habe ich in Marburg Volkskunde studiert und mich auf Kultur- Sozial- und Wirtschaftsgeschichte spezialisiert, immer verbunden mit Fragestellungen, wie geschichtliche Prozesse in Museen, vor allem in Freilichtmuseen umgesetzt und dargestellt werden können. Meine Examensarbeit hatte den Titel: „Die Agrarische Revolution in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert und Aspekte ihrer musealen Thematisierung“.

Bei meinen damaligen Recherchen zu Landwirtschaftsreformern und Landwirtschaftswissenschaftlern, die dazu beigetragen haben, dass die tiefgreifenden Veränderungen und damit auch Verbesserungen in der Landwirtschaft eingeleitet werden konnten, bin ich zum ersten Mal auch auf Pfarrer Mayer und sein Wirken gestoßen. Die Tatsache, dass er Eingang in die Fachliteratur des 20. Jahrhunderts gefunden hat beweist, dass er von Agrarhistorikern durchaus als gleichrangig mit anderen überregional bedeutenden Landwirtschaftsreformern des 18. Jahrhunderts angesehen wird wie etwa Johann Christian Schubart (1734– 1787), Johann Heinrich von Justi (1717-1771) oder auch Johann Nepomuk von Schwerz (1759–1844), um nur diese drei zu nennen.

Doch richten wir den Blick zunächst auf Pfarrer Mayers Lebenszeit. Das 18. Jahrhundert war in vielen Gebieten Europas in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht von einer Situation gekennzeichnet, die noch nicht als wirkliche Umbruchs- oder Innovationsphase charakterisiert werden kann, wohl aber als eine Phase der Vorbereitung. Eine Zeit in der die gewaltigen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts auf vielen Gebieten mehr oder weniger zaghafte Schatten voraus warfen. Die tiefgreifenden Neuerungen und Veränderungen die die Industrialisierung für alle Bereiche des Lebens der Menschen mit sich brachte, bedeuteten – auch in menschheitsgeschichtlichen Dimensionen gedacht – eine Zäsur von bis dahin kaum gekannten Ausmaßen. Alle Lebensbereiche waren betroffen, die Entwicklungen waren und sind vielfach Gegenstand von Analysen und Interpretationen, dieser Bereich der Vergangenheit ist aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet worden.

Der Hessische Volkskundler Michael Keller, der in den 1980er Jahren in Friedberg in der Wetterau eine vielbeachtete große Dauerausstellung zur Geschichte der Landwirtschaft in dieser Region konzipiert und aufgebaut hat, hat bezogen auf die Veränderungen im Gefolge der Industrialisierung formuliert:

„Ein Mensch aus dem Mittelalter hätte sich in der Welt des Jahres 1800 noch problemlos zurecht gefunden. In der um 1900 nicht mehr“

Weniger intensiv erforscht worden ist dagegen die vorbereitende Phase im 18. Jahrhundert, in dessen zweiter Hälfte insbesondere Weichenstellungen erfolgten, die die späteren Entwicklungen entscheidend beeinflusst haben. Veränderungen und Neuerungen in der Landwirtschaft waren es, die die Industrialisierung überhaupt erst ermöglicht haben.

Die „Agrarische Revolution“ war nicht Nebenprodukt der Industriellen Revolution, sondern eine Voraussetzung im Sinne einer „Conditio sine qua non“ also einer existenziell wichtigen Vorbedingung.
Denn Arbeitskräfte konnten nur dann in der Industrie arbeiten, wenn sie von der Erzeugung landwirtschaftlicher Güter freigestellt werden konnten. Das aber erforderte, dass die in der Landwirtschaft verbliebenen Arbeitskräfte erheblich mehr Nahrungsmittel produzieren konnten, als sie selbst verbrauchten. Dass dies gelang, war Ergebnis der Neuerungen, die im 18. Jahrhundert einsetzten. Zur Verdeutlichung ein Zahlenbeispiel: Um 1800 waren von 10 lohnabhängig arbeitenden Menschen 8 in der Landwirtschaft beschäftigt, um 1900 noch 4. Innerhalb von nur 100 Jahren wurden also durch wesentlich weniger Arbeitskräfte in der Landwirtschaft insgesamt mehr Nahrungsmittel erzeugt als zuvor, denn die insgesamt stetig wachsende Bevölkerung hatte einen stetig steigenden Bedarf. Dass dies nicht reibungslos verlaufen ist, zeigen die zum Teil großen regionalen Unterschiede und auch die immer wieder auftretenden Lebensmittelknappheiten bis hin zu Hungersnöten im 18., aber auch noch im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert wurden auf vielen Gebieten Weichen gestellt, die die Neuerungen des 19. Jahrhunderts ermöglichten, so dass die Landwirtschaft endgültig von den Relikten der mittelalterlichen Besitz- und Herrschaftsverhältnisse befreit werden konnte.

In manchen Gegenden und auf manchen Gebieten wurden und werden Entwicklungen und Neuerungen von Persönlichkeiten initiiert oder befördert, die in Ihrem Denken oder Wissen der Zeit voraus waren bzw. sind. Das gilt ganz sicher auch für den Bereich, der Gegenstand meiner kleinen Betrachtung sein soll, wie ich im Folgenden darlegen möchte.Erlauben Sie mir bitte der Vollständigkeit halber zunächst einige kurze biografische Angaben, auch wenn ich wohl davon ausgehen kann, dass diese den allermeisten hier Anwesenden bekannt sind.

Johann Friedrich Mayer entstammte einer bäuerlichen Familie. Geboren 1719 in Herbsthausen bei Bad Mergentheim, besuchte er zunächst die Lateinschule in Weikersheim und später das Gymnasium in Öhringen, erhielt also eine fundierte schulische Ausbildung, bevor er sein Studium der Theologie im thüringischen Jena aufnahm, einer der angesehensten und bevorzugten Universitäten in dieser Zeit.
Von 1745 bis zu seinem Tod 1798, also insgesamt 53 Jahre, war Mayer Pfarrer in Kupferzell. Bis heute ist er in der Region und in Fachkreisen auch darüber hinaus unter der Bezeichnung „Gips-Apostel“ oder „Gips-Pfarrer“ bekannt, ein Titel, den er dem Gründer und ersten Direktor der landwirtschaftlichen Lehranstalt Hohenheim, der heutigen Universität Hohenheim, Johann Nepomuk von Schwerz verdankt. Inwieweit dieser Titel ihn und seine Bedeutung nur unzureichend charakterisiert, wird im Weiteren noch aufzuzeigen sein.

Mayer selbst verstand die vielfältigen Bemühungen um eine Verbesserung und Entwicklung der Landwirtschaft, die er hier in Kupferzell angestrengt hat, als natürlichen Teil seiner Berufung als Pfarrer. Denn für Mayer hatte sich ein Pfarrer eben nicht nur um das Seelenheil seiner Gemeindemitglieder im Jenseits zu kümmern, sondern auch um deren materielles Wohl zu Lebzeiten.Unter den zahlreichen Schriften, die er ab 1768 veröffentlichte, nahmen die in mehr als 10 Bänden immer wieder fortgesetzten „Beyträge und Abhandlungen zur Aufnahme der Land- und Haußwirtschaft, nach den Grundsätzen der Naturlehre und Erfahrungen entworfen“, eine zentrale Rolle ein. 1782 formulierte er dort nach 37 Dienstjahren:

„Ein Prediger leistet in seinem Amte kein vollkommenes Genüge, wenn er nicht neben dem, dass er seine Gemeinde zu dem Besitze ewiger Seligkeit hinführet, sie auch zeitliche Glückseligkeiten zu besitzen, unablässig bearbeitet.“1

Begonnen hatte er seine umfangreiche publizistische Tätigkeit 1768, nachdem er bereits 23 Jahre Pfarrer in Kupferzell gewesen war und reichliche Erfahrungen auf den verschiedensten Gebieten der Landwirtschaft und des Gartenbaus gesammelt hatte.

So war es wohl auch der Titel seiner ersten, damals und auch in der Folgezeit viel beachteten Schrift „Die Lehre vom Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu allen Erdgewächsen auf Äckern und Wiesen, Hopfen und Weinbergen“, die den Hohenheimer Direktor Schwerz dazu veranlasste, ihn zum „Gips-Apostel“ werden zu lassen. Mayer betonte immer wieder die Seriosität seiner veröffentlichten Ratschläge, vor allem, dass er sie grundsätzlich erst dann publiziere, wenn sie mehrfach, durch ihn selbst und auch durch Mitglieder seiner Gemeinde, überprüft worden seien. Das war in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich. Das 18. Jahrhundert, insbesondere dessen zweite Hälfte, war die Zeit der Ratgeberliteratur. Zu allen Bereichen des Lebens, insbesondere aber zu Themen der Haushaltsführung und Landwirtschaft, entstanden Lehr- und Ratgeberbücher. Allerdings waren darunter auch sehr viele schlechte Ratgeber, was dazu führte, dass eine gewisse Skepsis gegenüber allen von außen gegebenen Ratschlägen entstand, insbesondere in der Landwirtschaft. Um seine Experimente durchführen und die gewonnenen Erkenntnisse überprüfen zu können, hatte sich Mayer eigens einen großen Versuchsgarten angelegt, der Feld- und Wiesenstücke, Gartenbeete und etwa 1.800 Obstbäume enthielt.

Um vielleicht ein wenig besser verstehen zu können, was einen evangelischen Pfarrer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dazu bewegt, mit einer derartigen Leidenschaft und letztlich auch mit Erfolg für eine Verbesserung der Landwirtschaft in seinem Wirkungsbereich einzutreten, sei zunächst ein kurzer Blick auf die Situation und den Entwicklungsstand der Landwirtschaft in dieser Zeit gerichtet. Im 18. Jahrhundert ging auf vielen Gebieten der Landwirtschaft allmählich eine seit dem späten Mittelalter anhaltende, lange Phase der Stagnation zu Ende. Die Ursachen dieser Stagnation lagen nicht zuletzt in der überkommenen, feudalistischen Agrarverfassung mit der Grundherrschaft einerseits und den in ein dichtes Netz aus Abhängigkeiten und Zwängen eingebundenen Bauern andererseits. Damit ging einher, dass die Landwirtschaft im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend in den Mittelpunkt der Betrachtungen, aus zum Teil sehr unterschiedlichen Perspektiven, wurde. Kein geringerer als Voltaire, der berühmte französische Philosoph der Aufklärung, lieferte diesbezüglich ein Stimmungsbild aus Frankreich aus der Zeit um 1750, das sich mit einiger Vorsicht durchaus auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen lässt:

„(zu dieser Zeit – M.H.) machte die Nation, übersättigt mit Versen, Tragödien, Komödien, Opern, Romanen und noch romantischeren Reflexionen über die Moral und die theologischen Streitereien, über die Gnade und die Verzückungen, machte die Nation sich endlich daran, über das Getreide nachzudenken. Man vergaß selbst die Weinberge, um nur von Weizen und Roggen zu sprechen. Man schrieb nützliche Dinge über die Landwirtschaft, alle Welt las sie, mit Ausnahme der Bauern.“ 2

Unter den gesellschaftlichen Strömungen, die sich auch in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Landwirtschaft in besonderem Maß verschriebenen hatten, sind vor allem die Physiokraten, die Experimentalökonomen und die Kameralisten zu nennen, deren Ansätze bzw. Methoden ich kurz skizzieren möchte.

Die Physiokraten gingen von der Grundannahme aus, dass die Landwirtschaft die einzige Quelle allen gesellschaftlichen Wohlstandes ist. Ihrer Überzeugung gemäß, erkannten sie in der Verbesserung der Landwirtschaft den Ansatzpunkt für alle Anstrengungen um Wohlstand, sowohl des Gemeinwesens, als auch der Individuen. Anne Robert Turgot, bedeutender Exponent der französischen Physiokraten formulierte dies wie folgt: „Was die Erde durch den Fleiß des Landwirts über seine persönlichen Bedürfnisse hinaus hervorbringt, ist der einzige Fonds für die Bezüge, die alle anderen Mitglieder der Gesellschaft erhalten.“3  Erreichen wollten die Physiokraten die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion vor allem über die Abschaffung der feudalistischen Agrarverfassung mit ihren grundherrlichen Privilegien einerseits und zahlreichen Zwängen und Abhängigkeiten für die Bauern andererseits wie Viehtriften, Hutungsrechte, Flurzwänge und die Leibeigenschaft. Denn diese sahen sie als gravierende Hindernisse jeder Entwicklung der Landwirtschaft an.

Die Experimentalökonomen standen nicht unbedingt im Widerspruch zu den Physiokraten, versuchten aber über experimentelles Vorgehen auf methodischen, züchterischen und technischen Gebieten Neuerungen zu entdecken, die zu Ertrags- und Effizienzsteigerungen führen sollten. Manche Experimentalökonomen scheiterten, zum Teil auch spektakulär. Andere hatten durchaus Erfolg. Zu ihnen zählt, quasi als ein Musterbeispiel, Johann Friedrich Mayer. Aber auch der Reformer Johann Christian Schubart, Zeitgenosse Mayers, dem Kaiser Joseph II von Österreich 1784 den Ehrentitel „Ritter des Heiligen Römischen Reiches von dem Kleefeld“ verlieh, war ein erfolgreicher und vom Physiokratismus beeinflusster Experimentalökonom, in dessen Wirken es zahlreiche Parallelen zu Mayer gibt. Wie sehr Mayer den physiokratischen Ansatz verinnerlicht hatte, zeigt die Einleitung seiner ersten veröffentlichten Schrift „Die Lehre vom Gyps“.

Darin heißt es:

Der Getraid-Bau ist unstrittig das wichtigste Geschäffte in einem Staate. Alle Stände leben von den Früchten dieser Arbeit; Fabriquen, Manufacturen und Gewerbe vergehen ohne diese: die Menge des Getraides schaffet dessen Wohlfeile, und diese den Absatz der von jenen verfertigten Waaren; hierdurch bestehen sie sämtlich.“4

Auch die um Vervollkommnung des Staatswesens bemühten Kameralisten widmeten sich der Landwirtschaft, erkannten in ihr einen Bereich der Kameralwissenschaften. Ein bedeutender Exponent des deutschen Kameralismus war Johann Heinrich Gottlob von Justi. Als einer der ersten verstand Justi die Landwirtschaft als gewerblichen Betrieb, der im Kosten-Nutzengefüge des Marktes eingebunden ist und formulierte „Die Landwirtschaft ist ein Zusammenhang von Nahrungsgeschäften.“5
Der dem Markt und dem Gewerbe eingeräumten Priorität widersprach allerdings Pfarrer Mayer aufs heftigste und führte aus:

Wann also von Justi die Fabrique über den Feldbau erhebt, so erhebe ich … in seiner Ordnung Gottes, bey der Veränderung des menschlichen Geschlechts, den Feldbau über die Fabrique!“6

Physiokraten und Experimentalökonomen, Kameralisten und die vielerorts im hier betrachteten Zeitraum entstehenden Landwirtschaftlichen Gesellschaften, waren sich trotz aller Unterschiede in ihrer Ablehnung der alten Agrarverfassung einig, die sie als Hindernis jedweder Entwicklung ansahen. Mayer warb immer wieder für die Abschaffung jeglicher Zwänge und Formen der Unfreiheit der Bauern und sah sich einer durchaus verständigen Obrigkeit gegenüber, die die Leibeigenschaft und Frondienste im Amt Kupferzell bereits 1727 abgeschafft hatte.“7 Zum Vergleich: In Bayern und Baden erfolgte dies 1783, in Preußen 1810 und im Königreich Württemberg erst 1817, also 90 Jahre danach. Der bereits erwähnte Schubart, „Edler vom Kleefeld“, bezeichnete „Hutung, Trift und Brache (als) die größten Gebrechen und die Pest der Landwirtschaft“. An anderer Stelle wirft er den Grundherren wegen ihres Festhaltens an den feudalen Privilegien sogar vor, wie „orientalische Despoten zu denken und zu sprechen“ und „die Rechte der Menschheit zu zertreten.“8

Pfarrer Mayer befand sich aber auch in anderer Hinsicht in guter Gesellschaft, ist doch die Zahl der aufklärerisch beeinflussten Pfarrer unter den Landwirtschaftsreformern des 18. Jahrhunderts bemerkenswert. Eine Schrift Mayers trägt den Titel: „Woher kommt es, dass bei gleichen Umständen das gemeine Volk der Protestanten begüterter ist als das gemeine Volk der Katholiken?“9 was wie einer Bestätigung der Arbeiten des Soziologen Max Weber zum Verhältnis von Protestantismus und Arbeitsethik anmutet, bereits 150 Jahre vor deren Entstehung.

Wie bereits dargelegt, gehörte es nach Mayers Selbstverständnis ebenso zu den Aufgaben eines Pfarrers für das irdische Wohlergehen seiner Gemeindemitglieder zu sorgen, wie für deren Seelenheil. Folglich war der wirtschaftliche Erfolg der Gemeindemitglieder auch ein Gradmesser des Erfolgs der Arbeit des Pfarrers. Und wirtschaftlicher Erfolg bedeutete im ländlichen Raum des 18. Jahrhunderts beinahe ausschließlich, den Erfolg der Landwirtschaft.

Aber betrachten wir Pfarrer Mayers Wirken ein wenig konkreter: Neben seinem Bemühen, den in seiner Region natürlich vorkommenden Gips als Dünger zu popularisieren, trat er ebenso nachdrücklich für die ganzjährige Stallhaltung und –fütterung des Rindviehs ein. Vielerorts und durch verschiedene Landwirtschaftsexperten bzw. –reformer wurde immer wieder die Feststellung getroffen, dass der Weidegang der Kühe und Rinder dazu führt, dass auf den Weiden sehr viel Futter zertrampelt und durch die Ausscheidungen der Tiere unbrauchbar gemacht wird. Die ganzjährige Stallhaltung mit Fütterung der Tiere im Stall sollte die Effizienz der Futterverwertung entscheidend verbessern. Mayer beschreibt den diesbezüglichen Ist-Zustand in seiner Heimatgegend in seinem berühmten und weit verbreiteten „Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe in der pragmatischen Geschichte der gesamten Land- und Haußwirthschafft des Hohenlohe Schillingsfürstischen Amtes Kupferzell“, das er 1773 unter dem Eindruck der Hungerjahre 1771/72, geschrieben hatte. Die Hungerjahre hatten Hohenlohe weitaus weniger getroffen, als manche andere Gegend. Mayer verstand sein Buch daher gewissermaßen auch als „Anleitung zur Nachahmung“ für andere Territorien wenn er ausführte:

Alles Vieh erhält in dem Stalle seine Fütterung. Angestellte Rinder kommen in ihrem Leben nicht ehe aus dem Stalle, als bis sie verkauft und abgeführet werden, auch sogar die Tränke erhält vieles Vieh in dem Stalle. (…) Man hat gegen die Stallfütterung … allerhand eingewendet.; ich freue mich aber sehr, dass alle diese Einwendungen versagen, und jene überall jezo beliebt, und der Waidgang abgeschafft wird.“10

Die Stallhaltung des Rindviehs und die Ausdehnung der Bestände waren auch verbunden mit der Überwindung der klassischen Dreifelder-Wirtschaft, bei der grundsätzlich ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche, im jährlichen Wechsel, unbebaut bleibt. Der Boden liegt brach um sich nach zwei Erntejahren ein Jahr lang zu erholen, eine Wirtschaftsform, die lange Zeit als unveränderbar angesehen wurde. Die Überlegungen Mayers und anderer Landwirtschaftsreformer gingen nun dahin, dass verschiedene Pflanzen(arten) dem Boden unterschiedliche Nährstoffe entziehen und daher der Anbau von Futterpflanzen wie Klee auf der Brache in Verbindung mit gezielten Düngemaßnahmen ein Weg zur Steigerung des Ertrags an Viehfutter sein könne. Mayer formulierte diese Grundannahme aller späteren Modelle der verbesserten Dreifelder-Wirtschaft und Fruchtfolgen ebenfalls in seinem Lehrbuch:

Daraus folgt, dass eine Pflanze das einsaugt, was die andere nicht annimmt, und dass auf einer Erdstelle die Speise dieser Pflanze vorhanden seyn kann, wo die Nahrung für die andere mangelt, so dass wenn die eine Sorte der Gewächse auf dieser Stelle lange gestanden und da genährt worden ist, eine andere von eben der Art ihre Bestand- oder Nahrungsteile gar nicht mehr findet und verhungert; dahingegen eine einer anderen Art für sich da allen Vorrath wieder antrifft und vorfindet, satt wird und fett wieder aufwächst.“11

Der Zusammenhang von Stallhaltung und Besömmerung der Brache und letztlich der Erfolg dieser Maßnahmen wird noch verständlicher, wenn die Bedeutung des Stallmists als wichtige Düngerquelle mitberücksichtigt wird. Eine verbesserte Futtergrundlage führte zur Ausweitung der Tierhaltung. Die ermöglichte wiederum einen größeren Bestand an Stallmist zu erhalten und für die Düngung der Anbauflächen zu verwenden, wodurch wiederum deren Ertrag gesteigert werden konnte.

Pfarrer Mayer pries den Kleebau auf der Brache schon zwanzig Jahre früher als Schubart, der spätere „Edle vom Kleefeld“, rückte aber von dessen euphorischer Propagierung in seinen „Beyträgen und Abhandlungen zur Aufnahme der Land- und Haußwirthschafft“ aus dem Jahr 1769 später wieder ab. Damals schwärmte er:

Durch die Menge des vortrefflichen Kleefutters wird der Viehbestand erweitert, der Acker wird reicher gedüngt, der Getreidebau nimmt zu, mit ihm wächst die Bevölkerung der Staaten, Fabriken und Manufakturen entstehen, der Absatz der Waren wird durch ihn wohlfeiler und erweitert, der Regent und der Untertan beglückter.“12

Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte stellte Mayer den Klee, offenbar im Ergebnis seiner Experimente, in eine Reihe mit vielen anderen Pflanzen, ohne ihnen eine so „staatstragende“ Bedeutung beizumessen, wie einst dem Klee. Hinsichtlich der Düngung empfahl Mayer keineswegs nur Gips und Stallmist. Auch Gülle und beispielsweise die in Gradierwerken anfallenden Kalkablagerungen pries er genauso als gute Düngemittel wie die Verwendung von Mergel oder den Austausch von Böden durch das Mischen von schweren und leichten Bodenanteilen. Auch der Be- und Entwässerung widmete er sich und stellte die Bedeutung von Meliorationsmaßnahmen heraus.

Als Pfarrer und Gelehrter war es ihm wichtig, auch die Obrigkeiten vom Nutzen einer florierenden Landwirtschaft zu überzeugen und deren Unterstützung zu bekommen. Dazu unterbreitete er auch Vorschläge zur Vergrößerung der Nutzflächen. Insbesondere riet er dazu, die unrentablen Domänen aufzulösen und die Ländereien gegen eine jährliche Besteuerung an die Untertanen zu verkaufen. Mayer stellte hierfür Rentabilitätsberechnungen an und zeigte die Überlegenheit dieser Option und den wirtschaftlichen Nutzen sowohl für die Herrschaft als auch für die Bauern und damit in mehrerlei Hinsicht für das Gemeinwesen auf. Seine Argumente und Berechnungen waren offensichtlich überzeugend, denn die Herrschaften in Hohenlohe-Ingelfingen und Hohenlohe-Langenburg verkauften tatsächlich ihre Kameralgüter größtenteils. Mayer riet auch dazu, große Bauernhöfe zu verkleinern. In der 1773 erschienenen dritten Fortsetzung der „Beyträge…“ pries er als optimale Betriebsgröße die von 32 Morgen, die er auf 21 Morgen Ackerland, 9 Morgen Wiesen und je 1 Morgen Wald und Garten verteilte. Bei einer Größe des „Morgens“ von etwa 3200 m2 bedeutet dies, dass er eine Hofgröße von rund 10 ha empfahl. Mit seinen Forderungen auch Seen auszutrocknen und Ackerraine zu beseitigen um die Nutzflächen zu vergrößern, bewegte er sich aus heutiger Sicht allerdings auf ökologisch problematischem Gebiet.

Ich möchte noch einmal auf die Entstehung seines „Lehrbuches“ von 1773 zurückkommen. Mayer äußerte hier seine Überzeugung, dass die Missernten der 1770er Jahre erst in zweiter Linie von anhaltend regnerischem Wetter – so die damals gängige Erklärung – verursacht worden seien und durch systematisch betriebenen Feldbau ebenso vermeidbar gewesen wären, wie die Hungersnöte der nachfolgenden Jahre. Dass die Landwirte im Amt Kupferzell auch in diesen Jahren so gute Ernten einfahren konnten, dass sie Getreide zum Teil in andere Gegenden abgeben konnten, führt er als Beleg seiner Überzeugung an. Dennoch war ihm bewusst, dass er mit seinen Schriften nur diejenigen Bauern erreichen würde, die des Lesens fähig waren und die die Möglichkeit dazu hatten. Neben Büchern gab er daher auch Bauernkalender und kleine Schriften heraus, mit denen er die einfache Bevölkerung ansprach, auch dies, gemessen an deren Verbreitung, durchaus mit Erfolg. Mayer hat sich den Obrigkeiten gegenüber auch immer wieder für die Entwicklung des Schulwesens eingesetzt, denn der Bildung der Landbevölkerung maß er eine entscheidende Bedeutung bei allen Anstrengungen um Verbesserung der Landwirtschaft und Einführung von Neuerungen bei. In seinen frühen Jahren, als er bei seinen Gemeindemitgliedern und den Menschen der Region um Anerkennung kämpfen musste, soll er den Nutzen der Gipsdüngung dadurch veranschaulicht haben, dass er in einem Frühjahr auf einem am Hang gelegenen Wiesenstück mit einer dicken Spur aus Gips den Schriftzug „hier wurde mit Gips gedüngt“ gestreut hat. Einige Wochen später sei der Schriftzug schon von weitem durch leuchtend grünes, dickes und langes Gras, das sich deutlich von dem umgebenden abhob, sicht- und lesbar gewesen. Für diese Begebenheit habe ich allerdings bei Mayer selbst keinen Beleg gefunden.

Nur wenige Jahre nach Pfarrer Mayer führte kein geringerer als der berühmte Agrarwissenschaftler Albrecht Daniel Thaer (1752 – 1828) aus, dass der „sinnliche Beweis“ der Nützlichkeit der Ratschläge das wichtigste Mittel dazu sei, Bauern von Neuerungen zu überzeugen. In diesem Punkt war Mayer seiner Zeit zweifellos ein gutes Stück voraus.

Mayer war als Ratgeber und Experte weit über Hohenlohe hinaus geschätzt. Er war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und führte Korrespondenz mit anderen Gelehrten im In- und Ausland. Einladungen erreichten ihn immer wieder, u.a. vom Kurfürsten von der Pfalz, von den Würzburger und Bamberger Bischöfen, vom Markgrafen von Ansbach, den Fürsten von Oettingen-Wallerstein und anderen mehr. Zwei Mal erhielt er einen Ruf nach Wien, davon einmal von Kaiserin Maria Theresia. Den Rufen ist er nicht gefolgt, vermutlich hätte es seinem Selbstverständnis widersprochen, seine Gemeinde und seine Region im Stich zu lassen.

Ich habe versucht darzulegen, dass der Pfarrer Johann Friedrich Mayer als Landwirtschaftsreformer sowohl Vorhandenes aufgenommen als auch eigene Wege beschritten hat. Ausgehend von den Ansätzen anderer Reformer und zum Teil auch im Widerspruch zu ihnen, hat er dabei die Grenzen zwischen den verschiedenen Strömungen wie den Experimentalökonomen, den Physiokraten und den Kameralisten überschritten. Er hat auch im streitbaren Austausch mit einigen Exponenten dieser Lehren gestanden und die Landwirtschaftswissenschaft um seine eigene Lehre bereichert.

Die Charakterisierung seines Schaffens ist notwendigerweise in diesem Rahmen unvollständig, lückenhaft und verkürzend. Ein Aspekt auf den ich nicht eingegangen bin ist der, dass Mayer auch ein sehr aktiver Landes- und Landschaftsbeschreiber gewesen ist, dessen Werke oft kopiert und in Auszügen in andere übernommen worden sind.

Generell haben Mayers Werke überwiegend deskriptiven Charakter, neben seinen aus eigenen Erfahrungen gewonnenen Ratschlägen beschreibt er alles schon Bestehende, das er als gut und nachahmenswert erachtet, möglichst exakt, um damit Menschen in anderen Gegenden ein Vorbild für ihr eigenes Handeln zu geben.

Pfarrer Johann Friedrich Mayer war ohne Zweifel einer der einflussreichsten deutschen Landwirtschaftsreformer des 18. Jahrhunderts, dessen Wirken bis heute auch über Hohenlohe hinaus von Bedeutung ist. Die Pfarrer-Mayer-Gesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, an das Leben und Wirken von Pfarrer Mayer zu erinnern und ihn vor dem Vergessen zu bewahren. Für diese Aufgabe wünsche ich viel Erfolg und breite Unterstützung!

Ich danke Ihnen.


 

1 Zit. nach Karl Schumm, „Pfarrer Johann Friedrich Mayer und die hohenlohesche Landwirtschaft im 18. Jahrhundert“, in: Jahrbuch des historischen Vereins für Württembergisch Franken, 1955, S. 138-167, S. 140

2 Zit.: Voltaire, Dict. Philosophique IV, S. 158, nach: J. Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 2, München/Berlin 1929, S. 40f.
3 Zit.: A. R. Turgot; Réflexions sur la formation et la distribution des richesse, Paris 1769/70. Nach: M. Boserup; „Agrarstruktur und take-off“ in: R. Braun (Hrsg); Industrielle Revolution, Köln 1976, S. 309-330, S. 312

4 J.F.Mayer; Die Lehre vom Gyps, Anspach 1768, faksimilierter Reprint, Vellberg 1998, S. 3
5 Zit J.H.G. v. Justi, nach E. Klein; Geschichte der deutschen Landwirtschaft im Industriezeitalter, Wiesbaden 1973, S. 38 6 Zit. Ebd., S. 6
7 Vgl. Johann Friedrich Mayer; Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe…, Nürnberg 1773, Faksimile-Neudruck Schwäbisch Hall 1980, S. 7-20
8 Vgl.: Th. V. d. Goltz; Geschichte der deutschen Landwirtschaft, 2 Bde, Stuttgart 1902, Bd. 1, S. 367f. Vgl. auch: W. Abel; Geschichte der deutschen Landwirtschaft, Stuttgart 1978, S. 297
9 Vgl. G. Franz; Geschichte des Deutschen Bauernstandes, Stuttgart 1976, S. 245

10 Zit. J.F.Mayer; Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe…“, Nürnberg 1773, S. 128f., Faksimile-Neudruck Schwäbisch Hall, 1980
11 Zit. ebd. S. 81

12 Zit. Zit. J.F.Mayer; Beytraäge und Abhandlungen…, 1769, Bd. 1, S. 267, nach W. Abel,; Geschichte… a.a.O., S. 315